Liebe Gemeinde,

recht vielstimmig begegnet mir die Aussage: „Wir (die Landeskirche, als Kirchgemeinde, als einzelne Christen) sind froh, wieder Gottesdienst feiern zu dürfen.“

Ich bin darüber nicht froh. Nicht, weil ich nicht gern und sofort und mit möglichst vielen Menschen Gottesdienst feiern möchte. Nicht, weil ich es leichter finde, eine Videoandacht aufzunehmen und ins leere Kirchenschiff zu sprechen und erst recht nicht, weil es mir um einen frei gewordenen Sonntag ginge. Nein, ich bin gar nicht froh, sondern traurig, dass wir in dieser Situation auf viele Kernelemente, Rituale und Grunderfahrungen, die zu unserem christlichen Glauben dazugehören, verzichten müssen. Aus diesem Grund verstehe ich auch aus tiefsten Herzen alle an uns herangetragenen Bitten oder Proteste, die sich mit dem Ausfall von Gottesdiensten nicht abfinden können. Ich habe mich auch nicht damit abgefunden.

Dennoch halte ich den obigen und vielerorts zu hörenden Satz für falsch. Wenn wir etwas dürften, dann muss uns jemand die Erlaubnis dazu geben. Es gibt aber nicht wirklich einen Menschen, der jetzt mit fester Gewissheit und gutem Gewissen, dabei keinen Fehler zu begehen, entscheiden kann, ob wir das jetzt dürfen, ohne damit nicht andere Menschen zu gefährden. Niemand kann wissen, ob es eine Entscheidung ist, die das Absinken der Infektionskurve nicht wieder gefährdet. Wir wissen im Moment einfach nicht, was wir wirklich verantwortlich dürfen und was nicht. Es ist ein Versuch, der Situation einer Pandemie mit einem bisher unbekannten Erreger gerecht zu werden. Und ein Versuch ist immer bedroht vom Irrtum. Welche Folgen ein Irrtum hat, lässt sich an Berichten und Bildern in Ländern und Gegenden ablesen, in denen die Pandemie sich ohne große Einschränkungen im sozialen Bereich zunächst in erschreckender Geschwindigkeit und mit dramatischen Folgen ausbreiten konnte.

Nach allen Erkenntnissen, die sich bisher zeigen, ist Abstand zu halten, die Hygienemaßnahmen einzuhalten und vor allem in Räumen das Zusammenkommen in Gruppen zu vermeiden, ein Ausdruck von Nächstenliebe. Wir zeigen damit Respekt davor, dass Menschen in Risikogruppen nicht einer für sie tödlichen Gefahr ausgesetzt werden, wir zeigen damit Respekt davor, dass Ärzte nicht vor die Wahl gestellt werden, welches Leben noch als rettenswert angesehen werden kann, wir zeigen damit Respekt davor, dass Mitarbeiter im Gesundheitswesen nicht über die erträglichen Grenzen belastet werden. Nicht zuletzt sorgen wir damit dafür, und auch das halte ich für einen wenn auch abstrakten Akt der Nächstenliebe, dass für uns wichtige Versorgungseinrichtungen wie die Energie- und Wasserversorgung, die Polizei, die Versorgung mit Lebensmitteln und auch die Müllabfuhr neben vielen anderen nicht unter einem unbeherrschbaren Krankenstand zusammenbrechen.

Das alles scheint uns vielleicht zu abstrakt, um es als Bedrohung erfassen zu können, weil wir zum Glück weit von diesen Zuständen entfernt scheinen. Der Abstand aber zwischen dem unbeherrschbaren Chaos und wohl bedrückend einschränkender aber beherrschbarer Pandemieentwicklung sind nur hinter dem Komma der 1 zu finden, die die Infektionsausbreitung nicht überschreiten sollte.

Es macht mich nicht froh, dass wir so von einer mathematisch nachvollziehbaren Entwicklung abhängig sind, die uns ein Nanometer kleiner Virus aufzwängt. Denn er, wenn auch so unfassbar, ist es, auf den wir reagieren, reagieren müssen. Wir werden nicht von einem Infektionsgesetz beherrscht, sondern von einem Virus. Zumindest in unseren alltäglichen Vollzügen und damit auch in der konkreten Ausgestaltung unseres Glaubenslebens. Wir können dagegen protestieren, denn so protestieren wir gegen den Virus und den Tod, den er im Schlimmsten auch bringen kann. Wir können dagegen protestieren, dass er uns das antut. Weil wir Christus als Herrscher unseres Lebens annehmen.

Wenn wir aber gegen das Virus protestieren, dann tun wir nach wie vor das am besten dadurch, dass wir Abstand halten. Die Osterbotschaft vom Leben hat die tödlichen Auswirkungen des Virus schon damit eindämmen können, dass wir ihm wenig bis keine Möglichkeiten gegeben haben, sich unter uns auszubreiten. Das ist ein Sieg des Lebens. Das ist ein Sieg der Freude über die Traurigkeit, dass wir das nicht in großer Gemeinschaft feiern konnten. Ich will das so leben.

Und ich will diesen Sieg nicht gefährden. Ich will tasten und suchen und manchmal einfach nur abwarten, ob sich als hilfreich erweist, welche Einschränkungen geholfen haben. Und ich will nicht sofort besserwisserisch sein und sagen, auch mit 18 Gottesdienstbesuchern wäre ja nichts Schlimmes passiert. Ich will zuhören, denen, die Daten und Erkenntnisse sammeln und daraus vorsichtige Schlüsse ziehen. Ich will, dass dies bald anders wird und aufhört und erkenne, dass ich schmerzhaft von dieser Hoffnung Abschied nehmen muss. Ich will dennoch glauben, dass wir in unseren Familien, in unserer Kirchgemeinde, in der Gesellschaft, die wir in Deutschland und Europa, ja als Weltgemeinschaft aufgebaut haben, soviel Kraft haben, dass wir einander davon noch etwas abgeben können. Ich will, dass die Hoffnung stärker ist als die Hoffnungen, die ich begraben muss. Ich glaube, dass mir das Ostern sagt.

Ich will Entscheidungen treffen, die ich nicht bereuen muss und dennoch keine Angst davor haben, dass es falsch war. Eine grundsätzliche Entscheidung, die ich, nach gründlicher Beratung mit allen Mitarbeitern getroffen habe, heißt:

Wir können als Kirchgemeinde im Moment keine Einladung an einen bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit aussprechen, um Menschen zusammenzubringen. (Ob das auch für Freiluftveranstaltungen gilt, wird nach neuen Verordnungen und mit Blick auf unseren Möglichkeiten neu zu prüfen sein.) Wir halten die Personenzahl von 15 Menschen für eine nichtorganisierbare Grenze, die würdig und gerecht einzuhalten wäre. Wir glauben der Aussage Jesu, dass wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, er mitten unter ihnen ist.

Wir können als Kirchgemeinde die Einladung aussprechen und verstärken, sich als Hausgemeinden zu erleben. Unser Herr ruft uns zu sich. Jeden Einzelnen und jede Einzelne von uns. Behalten wir die Zeit bei, die wir bewusst mit und für ihn verbringen wollten. Laden wir uns in der Familie an die angezündete Kerze ein, oder versammeln uns vor dem Fernseher vor dem gestreamten Video. Sagen wir uns die Gedanken über die Tageslosung am Telefon. Und beten wir füreinander. Berichten wir uns doch über die sozialen Medien von den Formen unserer Hausgottesdienste. Bleiben wir getrost und helfen wir uns getrost zu sein.

In diesem Sinne grüße ich herzlich mit dem Lehrtext des heutigen Tages: Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. (Galater 3,26)

Bleiben Sie gut behütet und gesund
Cornelius Epperlein
Pfarramtsleiter Ev.-Luth. Kirchgemeinde Pirna

Bis zum Ende der Ende der Einschränkungen wird eine wöchentliche Andacht im Stil der Mittagspause unter der Rubrik "Angedacht" veröffentlicht.