Predigt für den Sonntag Jubilate –

Buch der Sprüche 8,22-36

Gehalten von Pfarrer Cornelius Epperlein in der Stadtkirche St. Marien Pirna am 12. Mai 2019

Text

  1. Die Weisheit spricht:
    Der Herr hat mich schon gehabt
    im Anfang seiner Wege,
    ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.
  2. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her,
    im Anfang, ehe die Erde war.
  3. Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren,
    als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen.
  4. Ehe den die Berge eingesenkt waren,
    vor den Hügeln ward ich geboren,
  5. als er die Erde noch nicht gemacht hatte
    noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens.
  6. Als er die Himmel bereitete, war ich da,
    als er den Kreis zog über der Tiefe,
  7. als er die Wolken droben mächtig machte,
    als er stark machte die Quellen der Tiefe,
  8. als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern,
    dass die nicht überschreiten seinen Befehl;
    als er die Grundfesten der Erde legte,
  9. da war ich ständig bei ihm;
    ich war seine Lust täglich
    und spielte vor ihm allezeit;
  10. ich spielte auf seinem Erdkreis
    und hatte meine Lust an den Menschkindern.
  11. So hört nun auf mich, meine Söhne!
    Wohl denen, die meine Wege einhalten!
  12. Hört die Zucht und werdet weise
    und schlagt sie nicht in den Wind!
  13. Wohl dem Menschen, der mir gehorcht,
    dass er wache an meiner Tür täglich,
    dass er hüte die Pfosten meiner Tore!
  14. Wer mich findet, der findet das Leben
    und erlangt Wohlgefallen vom Herrn.
  15. Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben;
    alle, die mich hassen, lieben den Tod.

Predigt

Liebe Gemeinde,

ein schönes Lied, dass sie sich da selbst singt, die Weisheit, die Sophia, ein Teil des göttlichen selbst.

Und ein Teil unserer Existenz. Hoffentlich zumindest. Hoffentlich sind wir wenigstens ein bisschen weise.

Wir als einzelne Menschen und wir als Menschheit insgesamt. Ansonsten sieht es nämlich düster für uns aus: „Wer mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle die mich hassen, lieben den Tod.“ (V. 36) So warnt sie, die Weisheit, im letzten Vers ihres Liedes.

Es hat mehr als 2000 Jahre gedauert, bis Worte entstanden sind, die geradezu als Kehrvers, dieses alten Weisheitsliedes gelten könnten: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, so hat ja Immanuel Kant den Leitspruch der Aufklärung formuliert.

Weil wir von Gott her mit Verstand ausgestattet sind, darum sollen wir ihn auch benutzen!

Wir sollen unseren Verstand benutzen: In allen Lebensfragen, in allen Glaubensfragen auch. Wir dürfen und sollen fragen, hinterfragen auch; uns austauschen, nach Wahrheit suchen, die wir nie ganz haben werden, der wir uns aber im guten Streit der Sichten und Ansichten näher können.

Und wir sollen es tun, um unseres Lebens willen. Gerade jetzt. Weil vielleicht wirklich nicht mehr viel Zeit bleibt, und die „Quellen, in der Tiefe gegründet,“ (nach V. 24) versiegen, weil wir so dumm sind, sie so lange zu missbrauchen, bis nichts mehr aus ihnen entströmt – lebendiges Wasser schon gar nicht mehr.

Jede Leugnung eines menschengemachten Klimawandels ist Dummheit. Und jedes Abwiegeln, dass dies vielleicht alles gar nicht so schlimm werden könnte, ist eine Dummheit. Die  Weisheit singt uns ihr Lied. Wollen wir es wirklich mit dieser Konsequenz enden lassen: „Wer mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle die mich hassen, lieben den Tod.“ (V. 36)

Ein Lied gegen die tödlichen Konsequenzen der kollektiven Dummheit. Wie gut, dass die Tönen eines solchen Liedes von manchen gehört werden und sie lauthals darin einstimmen. Wie gut, dass dieses Lied zu singen, Schülerinnen und Schülern in diesem Land und auf der ganzen Welt wichtiger ist, als sich um Schimpfreden gegen ihr angebliches Schulschwänzen zu scheren.

Wie gut, dass sich Wissenschaftler hinter sie stellen und betonen, dass die „fridays for future“-Bewegung die Finger nur dort in die Wunde legt, wo ebendiese Klimaforscher schon eine ganze Zeit ein tief-klaffende Wunde in der Entwicklung unserer Zeit sehen.

Ja, wir werden sehr, sehr viel Weisheit und wissenschaftlichen Verstand in der Welt brauchen, um das Schlimmste noch zu verhindern. Und da scheint mit den Fragen des Klimawandels fast noch gar nicht vom Schlimmsten die Rede zu sein.

Auch wenn es möglicherweise damit im Zusammenhang steht und durch ähnliche Ursachen ausgelöst wurde: Die jüngsten Meldungen vom massenhaften Artensterben müssten uns das Grauen ins Gesicht treiben.

Die „Schollen des Erdbodens“ (V. 26) wie sie Weisheit als grandiose Schöpfungstat Gottes beschreibt sind weithin nur noch toter Staub, aufgepäppelt durch Nährstoffe, deren Abbau an anderer Stelle Mondlandschaften oder vergiftete Böden, Flüsse und Meere schafft. „Wer mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle die mich hassen, lieben den Tod.“ (V. 36)

Und das soll alles soll nicht so schlimm sein, weil dabei doch Wohlstand geschaffen wird und Arbeitsplätze erhalten werden? Ich zitiere darum noch einmal die Warnung von recht weisen Wissenschaftlern: „Laut einem neuen Bericht des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) sind eine Million Arten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vom Aussterben bedroht, wenn es zu keinen grundlegenden Änderungen bei der Landnutzung, beim Umweltschutz und der Eindämmung des Klimawandels kommt.“[1]


So ein schönes Lied, was die Weisheit uns singt. Ja, zum Mitsummen. Zum Mitnicken im Takt des Schöpferlobs, das darin auch zu hören ist. Aber darin klingt eben auch mit, dass die Schöpfung ein Ziel hat. Nämlich den Schöpfer in ihr zu finden. Ich lebe nicht für mich; ich lebe als Dankender. Wer Gott verfehlt, zerstört sich. Und wer die Schöpfung allein für seine Zwecke nutzt, zerstört diese.

Also so wird es nicht gehen: Ein schönes Lied, was die Weisheit uns singt. Ja, zum Mitsummen. Zum Mitnicken im Takt des Schöpferlobs, das darin auch zu hören ist. Und dann … zum ganz schnell vergessen, wenn es um die Konsequenzen geht?

Weil in der Basslinie diese Liedes etwas anklingt, was wir dann doch lieber nicht hören wollen: Da muss sich radikal etwas ändern. Da muss sich an eurem Lebensstil etwas ändern. Ihr könnt einfach nicht so weitermachen.

Ihr könnt nicht nach so billigen Lebensmitteln verlangen und glauben, dass hat keine Auswirkungen. Ihr könnt mit der momentanen Technik nicht dieses Maß an Mobilität beibehalten, weder auf den Flügen um die Welt, noch bei den Kreuzfahrten an die Traumstrände, die dort vom Dieselstaub vergiftet werden. Ihr könnt nicht darauf beharren, dass Wachstum das Allheilmittel ist, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Ihr könnt nicht ablehnen, dass naturzerstörend und sozial unverantwortlich eingesetzter Reichtum nicht doch enteignet gehört.

„Hört die Zucht und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind!“ (V. 33) Unüberhörbar: Ein paar wachmachende Paukenschläge enthält dieses Lied der Weisheit durchaus. Paukenschläge, die uns durchaus in den Ohren klingeln dürfen.

Ja, natürlich dürfen uns alle schlauen und weisen Erkenntnisse helfen, die Wissenschaftbetreibende herausfinden. Natürlich kann uns auch gute und intelligent eingesetzte Technik helfen, manches besser zu machen. Und es wird gut sein, wenn wir als Einzelne und wenn die Politik hilft, solche gute Technik voranzubringen.

Wir als Einzelne, wenn wir gut informiert und weise beim Kauf von nötigen Geräten vorgehen, unsere Reisepläne wenigsten auch an ökologischen Fragen ausrichten. Kurz gesagt: reflektiert – also von der Weisheit angesteckt – unsere Lebensweise gestalten. Und ich behaupte, da darf ich auch einmal – reflektiert, dass es so ist – über die Stränge schlagen. Aber doch nicht ständig!

Und die Politik? Sie ist aufgerufen zu steuern. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wer angesichts der benannten Erkenntnisse eine CO2-Steuer ablehnt, den beschimpft die Weisheit heute ausdrücklich in ihrem Lied: „Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben Tod.“ (V. 36)

Und wer dies tut mit dem Verweis, dass eine solche Steuer besonders auch sozial schlechter gestellte, oder Pendler betreffen würde, die auf die Fahrt zu ihrer Arbeit angewiesen sind, der hat die Aufgabe, alle Weisheit, die uns Gott geschenkt hat, darauf zu verwenden, dafür einen vertretbaren Ausgleich zu schaffen. Vor allem hat er aber die Aufgabe, weise und verständlich zu erklären, dass uns dies alle etwas kosten wird.

Denn darum, dass es uns alle etwas kostet, weise und rücksichtsvoll überhaupt noch eine menschenwürdige Umwelt zu erhalten, darum kommen wir alle nicht herum. Das ist wohl heutzutage wirklich der Weisheit letzter Schluss: Es wird uns etwas kosten.

Aber ist das so schlimm? Denn vor allem kostet es uns, ein paar Gedanken mehr darüber zu verschwenden, was unsere Lebensweise für Folgen hat. Und es kostet uns wohl immer wieder Überzeugungsarbeit, in solche Reflexion auch andere einzuladen. Sie auf gute und weise Weise mitzunehmen. Es gehört dazu, von sich selbst zu wissen, die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen zu haben, sondern sich von ihr immer wieder im fairen und offenen Streitgespräch der Erkenntnisse anstecken zu lassen.

Das alles kostet Kraft, kostet Einsatz und Zeit und kostet die Bereitschaft zur Einsicht. Und das alles fällt uns nicht immer leicht.

Aber dafür ist die Weisheit doch eine viel zu schöne Gestalt, als dass sie solche Kosten nicht wert wäre. Und dafür singt sie uns doch ein viel zu schönes Lied, als dass wir nicht darin mit einstimmen sollten. Denn: „Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vor dem Herrn.“ (V. 35)

Amen

 

[1] SPON, Montag, 06.05.2019   12:16 Uhr, https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/artensterben-uno-bericht-beschreibt-dramatischen-verlust-der-artenvielfalt-a-1265482.html 

Die Heilige Sophia

Die heilige Sophia, die göttliche Weisheit auf einem Thron mit ausgestreckten Flügeln - Russische Ikone (17. Jh.)

Fundstücke in meiner Predigtvorbereitung – Weisheit, die mich bewegt hat

Drei Wege zum Glück

Was kann jeder Einzelne von uns tun, um glücklich zu werden? Darauf weiß der Glücksexperte eine Antwort – und bezieht sich dabei auf die Forschung: „Das Ele­ment, das die stärkste Korrelation zu Glück und Wohlbefinden aufweist, ist die Qualität menschlicher Beziehungen.“ Denn: Leute, die gute menschliche Bezie­hungen haben, leben nachweislich länger, gesünder und sind glücklicher.

Der zweitwichtigste Aspekt, so Ha Vinh Tho, sei die Selbstverwirklichung im Beruf. Jeder müsse sich fragen: Was liebe ich wirklich? „Wer langfristig nicht ausschließ­lich das macht, was er liebt, landet in einer Sackgasse. Was bringt einem dann ein großes Auto und eine fette Villa?“

Die dritte Frage, der sich unsere Generation stellen muss, ist laut dem Experten: „Leben wir in einer solchen Weise, die nachhaltig ist?“ Denn momentan nutzen wir weltweit die Ressourcen von eineinhalb Erden. Würden alle leben wie in Deutschland, wären es sogar mehr als drei. Damit sei die Zukunft unserer Kinder ernsthaft gefährdet.

Ha Vinh Tho, Minister für das Bruttonationalglück in Bhutan.

Staunen über sich selbst

Die Menschen machen weite Reisen,
um zu staunen
über die Höhe der Berge
über die riesigen Wellen des Meeres
über die Länge der Flüsse
über die Weite des Ozeans
und über die Kreisbewegung der Sterne.
An sich selber aber gehen sie vorbei,
ohne zu staunen.

Hl. Augustin (354–430), Kirchenlehrer.